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Mehr Menschen mit Kultur erreichen

Thesenpapier des Tourismusvereins Erfurt e.V. zum Kulturkonzept der Stadt Erfurt

Kultur ist eines der wesentlichen Merkmale, mit deren Hilfe sich Städte voneinander unterscheiden. Die Lebensqualität einer Stadt hängt wesentlich auch von ihrem kulturellen und geistigen Leben ab. Dabei verstehen wir Kultur als die Gesamtheit der menschlichen Leistungen, die über die Gewährleistung des unmittelbar lebensnotwendigen Grundbedarfs hinausgehen. Wenn wir uns also in die Erarbeitung eines Kulturkonzepts für die Stadt Erfurt einbringen, so tun wir dies zwar zuerst aus touristischer Sicht, legen aber den Fokus unserer Betrachtungen auf die Breitenwirksamkeit von Kultur. Unser Credo: Wir wollen mehr Menschen mit Kultur erreichen!

Dazu haben wir Thesen formuliert:
Kultur soll das Profil der Stadt schärfen

Zunächst stellt sich die Frage, welches Profil die Stadt eigentlich hat. Dabei ist es nicht allein entscheidend, welches Bild wir als Bürger von unserer Stadt haben, sondern wie uns andere sehen. Wenn wir das wissen, dann können wir entscheiden, ob dieses Bild mit unseren Vorstellungen übereinstimmt oder ob es der Korrektur bedarf. Spätestens dann stellt sich die Frage, welches Profil wir uns für Erfurt eigentlich wünschen. Diese Fragen zu beantworten, bedarf einer objektiven und professionellen Begleitung. Diese sollte möglichst von außen kommen.

Die Institutionalisierung des Stadtmarketings bei der Erfurt Tourismus und Marketing GmbH ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Tourismusgesellschaft kann aber die innere Struktur des Kulturbereiches nicht abdecken. Deshalb sollte ein weiterer Schritt die Evaluierung der Strukturen der Kulturinstitutionen sein.
Kultur ist mehr als nur Kunst

Die Wahrnehmung unserer Stadt wird nicht zuletzt auch davon geprägt, wie wir mit uns untereinander, mit anderen, mit unserer Geschichte und unserer Gegenwart, mit unseren natürlichen und geistigen Ressourcen umgehen. Diese Alltagskultur muß in der Stadt spürbar werden. Wir plädieren deshalb dafür, die Vereine mit kulturellem Hintergrund stärker als bisher in die Stadtgestaltung einzubeziehen und ihnen konkrete Aufgaben zu übertragen. Z.B. kann der geschichtliche Hintergrund der Stadt federführend durch den Geschichtsverein durch eine erläuternde Beschilderung verdeutlicht werden.

In der Stadt arbeiten nicht wenige Kulturgruppen, deren Arbeit und Leistungen in der Stadt kaum wirksam werden. Wir meinen, daß die Stadt einen Anspruch hat, an dieser Arbeit teilzuhaben und die Gruppen deshalb in öffentlichen Auftritten Ausschnitte ihrer Arbeit zeigen sollten. (Platzkonzert mit der Stadtharmonie (die schönsten Konzerte liefern 4 russische Bläser und die bekommen von der Stadt keinen cent), Puppenbühne am Samstag vormittag auf dem Fischmarkt, Folkloreensemble auf dem Fischmarkt usw.)
Kultur soll den Bekanntheitsgrad der Stadt erhöhen

Erfurt ist eine deutsche Landeshauptstadt mit rund 200.000 Einwohnern. Und genau diesen Bekanntheitsgrad hat sie auch. Dabei gaukelt die Eigenwahrnehmung der Erfurter mitunter einen überhöhten Stellenwert und Rang vor. So ist beispielsweise die Silhouette von Dom und Severikirche zwar beeindruckend (und für die Erfurter auch Identität stiftend) aber bei weitem nicht so weltberühmt, wie wir uns selber gern Glauben machen.
Kultur gehört zu den wichtigsten weichen Standortfaktoren

Eine reiche Kultur- und Kunstszene zu haben, ist Ausweis für eine hohe Lebensqualität in einer Stadt.

Städtenamen wie Dresden, München, Heidelberg oder Freiburg verbinden sich für viele Menschen mit hoher Lebensqualität, auch wenn sie selbst noch nie dort gewesen sind. Die meisten dieser Städte sind Residenzstädte, die ihren kulturellen Reichtum dem Adel verdanken. Erfurt aber ist eine Kaufmannsstadt, deren Grundton die bürgerliche Demokratie mit ihrer breit angelegten Alltagskultur ist. Es ist die Frage zu stellen, wie gerade diese kulturelle Breite und Vielfalt erweckt und so gepflegt werden kann, dass sie ein großes Publikum erreicht und gleichzeitig in Übereinstimmung mit den finanziellen Ressourcen der Stadt für freiwillige Aufgaben steht. Im Übrigen gehören auch die Universität ind die Kirchen zu dem Bereich der Kultur und sollten und müssen auch in die „Landschaft” einbezogen werden.

Es ist also die Frage zu stellen, wie wir es schaffen, kulturelle Breite und Vielfalt herzustellen, ein großes Publikum zu erreichen und gleichzeitig mit den gegebenen finanziellen Mitteln klarzukommen.

Unserer Ansicht nach sollte die Stadt den Schwerpunkt ihrer Kulturarbeit auf die Rahmenbedingungen – sozusagen die Hardware – für Künstler und Kulturschaffende bereitstellen. Hilfe zur Selbstverwirklichung kann nur Hilfe zur Selbsthilfe sein.
Wir regen in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch PPP-Projekte an, d.h. Einbindung der Unternehmen in die Gestaltung kultureller Projekte.
KUT, Siemens, Banken sind im Kulturleben der Stadt zur Zeit noch ohne jede Präsenz.
Kultur soll einen Reiseanlass bieten, die Stadt Erfurt zu besuchen

Wenn es stimmt, dass eine reiche Kultur- und Kunstszene zu haben, Ausweis für eine hohe Lebensqualität in einer Stadt ist, dann wird diese Stadt auch ein Anziehungspunkt für Besucher sein.

Dennoch ist es nicht die Masse und Vielfalt der unterschiedlichen kulturellen Angebote, die Touristen in eine Stadt lockt, sondern immer das Besondere, das Einmalige.

Städte vergleichbarer Größe und Bedeutung machen es uns immer wieder vor, wie man mit anspruchsvollen Kulturprojekten Besucher anlocken kann. Es gilt also, Kulturereignisse zu schaffen, die ihre Magnetwirkung durch Qualität und Einzigartigkeit erzielen.
Kultur soll die Wirtschaftskraft der Stadt Erfurt stärken

Die finanziellen Mittel der Stadt sind knapp bemessen und werden, wenn wir uns nicht arg täuschen, in Zukunft in noch geringerem Maße zur Verfügung stehen. Davon ist die Kultur als freiwillige Aufgabe besonders betroffen. Wenngleich freiwillig, so hat doch der Kulturetat durchaus seinen „Pflichtteil”.

In dem Moment, als sich die Stadt entschied, ein neues Theater zu bauen, hat sie sich auch entschieden, Jahr für Jahr einen großen Teil ihrer Mittel für seinen Betrieb aufzuwenden. Dies sollte als Grundposition der Erfurter Kulturpolitik festgeschrieben bleiben. Nach wie vor sind wir aber der Meinung, dass die Entscheidung für das Theater und seine stabile Finanzierung auch eine Öffnung für die Vertiefung einer Zusammenarbeit mit anderen Theatern und Orchestern sein sollte. Dies gilt insbesondere für immer neue Offerten an das Staatstheater Weimar. Auf lange Sicht führt daran kein Weg vorbei.

Unserer Auffassung nach soll bei allem, was mit Mitteln der Stadt gefördert wird, auch ein öffentlicher Nutzen für die Stadt erkennbar sein oder im Umkehrschluß: Kulturprojekte haben unserer Meinung nach dann eine besondere Förderung verdient, wenn sie auch eine besondere Breitenwirkung erzielen.
Insofern finden wir, dass die Stadt auch im Kulturbereich Wert auf die Effektivität des Mitteleinsatzes legen muss. Damit wird der Spielraum in der Förderung erhöht.

Wir wenden uns aber gegen den Verdacht, seichte kulturelle Massenware zum Primat zu erheben. Hoher künstlerischer Anspruch und Breitenwirkung müssen sich nicht ausschließen. Künstlerische Freiheit und wirtschaftliches Denken schließen einander nicht aus.

Die Domstufenfestspiele haben ihre künstlerischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Durch eine wirtschaftliche Eigenständigkeit können bisher noch nicht ausgeschöpfte Ressourcen erschlossen werden.

Ebenso sollte das Theater Erfurt in die touristische Vermarktung der Stadt enger eingebunden werden, um zusätzliches Publikum aus der Region und darüber hinaus zu erschließen und den Anteil der Eigenfinanzierung des Theaters zu erhöhen. Das Erfurter Theater sollte mit seinen Angeboten auch in Eisenach, Meiningen, Coburg, Jena oder Mühlhausen platziert werden.
Kirchen sind auch Bestandteil der Kultur

Über die Gottesdienste der Kirchen hinaus sind alle Konfessionen wichtige Träger der Kultur. Konzerte, Ausstellungen, kirchliche Gebäude sind Highlights, die viele Menschen, z.T. von weit her, anziehen. Dabei spielt die eigene religiöse Bindung der Besucher keine Rolle. Insofern sind sie auch touristisch von Bedeutung. Die Kirchen müssen deshalb in einem Kulturkonzept der Stadt einen vorderen Platz einnehmen und bedürfen der gleichen Förderung wie jede andere Kulturinstitution. Angesichts der religiösen Tradition und Bedeutung der Stadt als Bischofssitz und Lutherstadt sollte sich die Stadt namhaft an der Finanzierung kultureller Angebote der Kirchen beteiligen, ohne deren kulturelle Hoheit zu berühren. Wir schlagen deshalb vor, ein Koordinierungssystem zu installieren, das die kirchliche Kultur in die städtische Kultur einbindet.

Erfurt, 16. September 2009
Vorstand des Tourismusvereins Erfurt e.V.

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